Die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts schien jede größere Kunstbewegung beschrieben und chronologisch eingeordnet zu haben. Allerdings hat niemand vorhergesehen, wie die Theosophin und Anthroposophin Hilma af Klint in den letzten Jahren die kodifizierte Geschichte der abstrakten Kunst in Erschütterung versetzen würde.
Af Klint repräsentiert jedoch nur einen kleinen Teil jener großen Kunstbewegung, über die international erstmals in der Monographie Aenigma / Hundert Jahre anthroposophische Kunst umfassend publiziert wird. Die Anfänge dieser Bewegung sind mit München und Stuttgart (1907–1913), vor allem aber mit dem nahe Basel gelegenen Dornach verbunden, wo 1913 rund um den Bau des ersten Goetheanum eine reformorientierte Künstlerkolonie entstand. An der Schwelle des Ersten Weltkriegs fanden hier esoterisch orientierte Kultureliten aus West- und Osteuropa, Skandinavien und Russland Zuflucht und folgten Rudolf Steiner – dem charismatischen österreichischen Philosophen, Naturwissenschaftler, Pädagogen, Architekten und Re-Designer der Welt. Die Monographie stellt neben Studien zur anthroposophischen Kunst 125 Künstlerpersönlichkeiten vor, die im Zeitraum 1913–2013 auf vielen Gebieten interdisziplinär tätig waren: Architektur, Bildhauerei, Malerei, Grafik, Kunsthandwerk und Design, Textilkunst, Spielzeugdesign, Buchgestaltung (von Kinderbüchern bis hin zum Samisdat), Bühnenbild, Eurythmie, Poesie und moderner Musik. Es existiert eine bisher weitgehend ungeschriebene und unerforschte Geschichte anthroposophischer Kunst von europäischem Format.